Donnerstag, 15. April 2010

VICE

One, who acts in place of another.

Dirk Roses Vice, ein Zyklus von 350 Polaroids, spielt mit Verkennung und Verstellung als Elementen des fotografischen Porträts. Was auf den ersten Blick wie eine Serie von Selbstporträts oder –inszenierungen erscheint, ist in Wirklichkeit eine Sammlung von Probeaufnahmen, die während Roses Tätigkeit als Fotoassistent im Zeitraum von 1998-2004 entstanden. Sie zeigen den Künstler in wechselnden Settings und Posen, mit Hilfe derer die Inszenierung der zu porträtierenden Person vorbereitet wurde. Er agiert damit als «Vice» im doppelten Sinne, der gleichzeitig dem Fotografen sekundiert und für einen unsichtbaren, noch zu fotografierenden Dritten einsteht.


Der Künstler erscheint in diesen Bildern wie ein Fremdkörper, der vorübergehend die Gesten und Räume anderer usurpiert, deren Platz einnimmt, ohne ihn recht mit Präsenz und auratischer Strahlkraft ausfüllen zu können. Dabei besetzt er nicht eine vorhandene Leerstelle, sondern er erzeugt sie, macht sie sichtbar: Aus der Inkongruenz zwischen seiner provisorisch wirkenden Anwesenheit und der Suggestion von Autorität, auf die der jeweilige inszenatorische Rahmen abzielt, zwischen dem anonymen Bildsubjekt und seinem überdeterminierten Kontext, erwächst eine subtile Ironie. Das «Handwerk» hinter den Porträts wird so frei-gelegt und tritt in seiner ganzen Formelhaftigkeit zutage. Die Behauptung von Einmaligkeit, die jede Repräsentation von Entscheidungs- und Leistungsträgern begründet, kollabiert angesichts der schablonenhaften Räume, Requisiten und Posen, in die sie hineininszeniert werden.

Wenn der Künstler als Modell die Formen prägt, die später andere füllen werden, kehrt sich so auch das Verhältnis von «Original» und «Platzhalter» um: Es steht nicht mehr die Vorläufigkeit seiner eigenen, «subalternen» Präsenz, sondern die Austauschbarkeit der gemeinten Bildsubjekte im Mittelpunkt. Die Bildunterschriften, welche ihre Positionen bezeichnen, haben somit eine zweifache Referenz: Sie verweisen nicht nur auf den konkreten «Vorstandsvorsitzenden», «Ministerpräsidenten» oder «Bundestagsnewcomer», sondern auch auf einen Typ von Inszenierung, wie er für jeden vergleichbaren Fall ebenso gut Anwendung finden kann.

Parallel zur Produktion der eigentlichen Bilder entsteht immer auch ein Archiv uneigentlicher Bildvorstufen, denen Rose mit seiner Arbeit Sichtbarkeit und Dauer verleiht. Er versammelt Fotografien, die nicht als Porträts intendiert waren, und doch in der seriellen Anordnung zu solchen werden – mehr noch: die der Arbeit autobiografische Züge verleihen. Gerade weil der Künstler uns mit gleichbleibender Indifferenz in jedem Bild aufs Neue entgegentritt, sind wir versucht, die minimalen Anzeichen von Veränderung in seiner Erscheinung zu registrieren und zu interpretieren. Subjektivität entsteht hier kumulativ, durch Beharrlichkeit. Fast beiläufig wird das Projekt dabei auch zu einer Dokumentation von Roses wechselnden Beschäftigungsverhältnissen im Laufe der Zeit: ein hintergründiges Porträt des Künstlers als (Zu-) Arbeiter.
(Katrin Mundt)

Follower